Journalistische und literarische Nachbarschaften bei Gabriele Tergit
I.
Der Nachbar ist nicht nur derjenige, der in der Nähe wohnt, sondern auch derjenige, der nebenan klatscht. Besonders nahe rückt der Klatsch in Zeiten urbaner Wohnungsnot, wie zum Beispiel im Jahr 1928, als in Groß-Berlin „nicht weniger als 165.000 Wohnungen“ fehlten. Mit derlei harten Fakten beschäftigte sich „Dr. Gabriele Tergit“ in der Artikelserie „Auf Wohnungssuche in Berlin“ des Berliner Tageblatts.1 Dort beschrieb die Reporterin den erschreckenden bürokratischen Aufwand der Wohnungssuche: „[F]ast der ganze Wohnraum steht unter Zwangswirtschaft, d.h. unter strengster Kontrolle des Wohnungsamtes.“2 Tergit berichtete von Wartelisten, mysteriösen weißen Scheinen, (gescheitertem) „Tauschen im Ring“ und übertriebenen Ablösesummen – und dies trotz der Reformen der sozialdemokratischen Stadtverwaltung, des Baus von Siedlungen und der Gartenstädte. Wer 1928 eine Wohnung in Berlin suchte, für den standen zwei Alternativen zur Wahl (erzählte man ihr im Wartezimmer des Wohnungsamts): „Wenn Se ne Altwohnung haben wollen, so müssen Se vier Jahre warten, und dann kriegen Se so’n dunkles Loch. Oder Se nehmen ne Neubauwohnung, die sind ja wunderschön, aber da kosten zwei Stuben mit Küche 88 Mark im Monat. […] Da draussen in Britz, wo sie die hübschen Häuschen haben, da ist schon wieder so viel zu vermieten, wie Sie wollen. Die Leute können’s nicht halten.“3
Im neuentstandenen Groß-Berlin war Britz zum Schauplatz wichtiger Bauprojekte geworden, vor allem Bruno Tauts Hufeisensiedlung. Die Britzer Siedlung sorgte für Gesprächsstoff auch am Stammtisch „Capri“ in der Anhaltstraße, wo sich Gabriele Tergit, die Journalisten Walther Kiaulehn und Rudolf Olden sowie der Architekt und Verfechter der Gartenstadtbewegung Werner Hegemann zum Mittagessen trafen. Sie aßen italienische Speisen und debattierten über die Nachteile des neuentstandenen Britzer Gartentraums im Vergleich zu den alten Mietskasernen: „Da möchte man lesen […] aber man kann nicht, man muß Gras schieben, und wenn man zum Bahnhof geht, kommt sicher ein Nachbar, der einen ermahnt: ‚Gar kein Gemüse? Aber das geht doch nicht. Und sie müssen auch düngen.‘“4 Nicht selten verdichtet die Figur des Nachbars in Tergits literarischer und journalistischer Produktion das Konfliktpotenzial der angespannten Wohnsituation. Schon für ihren ehemaligen Professor Max Weber war das Prinzip der großstädtischen Nachbarschaft – insbesondere in den Mietskasernen – „auf Innehaltung möglichster Distanz trotz (oder auch gerade wegen) der physischen Nähe […] gerichtet […].“5 Bei der Berliner Wohnungsnot wurde der Nachbar zu einem distanzierten Fremden, dessen Blick die Intimität verletzte und eventuell den Anbau von Rosenbüschen erzwang. Aus der Zwangswirtschaft entstanden lauter Zwangsgärtner.
II.
Es ist somit nicht überraschend, dass Tergit eine ihrer „Berliner Existenzen“, die kurzen Porträts von Berliner Typen, die im Lokalteil des Berliner Tageblatts erschienen, zur Zeit ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Wohnungsnot dem Typus der Nachbarin widmete.6 Mit einem kaskadenhaften Monolog voller idées reçues („Bezahl bar und spar!“) tritt die geschwätzige Frau Riecke auf, die typische Nachbarin.7 Frau Riecke erteilt die besten kulinarischen und medizinischen Ratschläge, kommentiert das elende Aussehen anderer Hausbewohnerinnen und erklärt Neukölln zu einer „üble[n] Gegend“ – viel besser sei die Frankfurter Allee („Ich sage dir, die jungen Mädchen haben hinterm Cottbusser Damm schon einen ganz anderen Ausdruck“).8 Frau Riecke ist immer und gerne bereit, gegen die unverheirateten „Proleten“, die neulich ins Haus gezogen sind und Wanzen mitgebracht haben, im Gericht unter Eid auszusagen. Und tatsächlich landeten viele Anzeigen der Zeit erst durch das ‚Gerede im Haus‘ auf dem Tisch der Staatsanwaltschaft, wie Tergit als Gerichtsreporterin sehr gut wusste. Das unaufhörliche Rauschen des Hausklatsches bildet nicht selten die Hintergrundkulisse der von ihr beschriebenen Moabiter Gerichtsverhandlungen zu Verleumdung und übler Nachrede sowie der Sittlichkeits- und Abtreibungsprozesse, bei denen junge Mädchen von den „lieben Nachbarn“ angezeigt werden.9 Die gutbürgerliche Frau Riecke ist eine der vielen Berliner Existenzen, die mit den Folgen des Krieges und der Inflation nicht zurechtkommen: „Nun spart man sich das, und erst die Inflation und denn die Lotterie, ich sage, das ist der Betrug am Volke.“10 Hinter der lächerlichen Frustration des Bürgertums droht aber das Gewaltpotenzial der „vernichteten Existenzen“, deren eskalierende Verzweiflung Tergit viele Jahre später in Erinnerung rufen wird: „Die Menschen hatten, wie man sagte, Pfennig auf Pfennig gelegt, sich alle Freuden versagt, um im Alter, bei Krankheiten, gesichert zu sein. Und nun? Betrogen! Natürlich wurden sie Nazis.“11
III.
Wie man sagte. Wer spricht hier? Das indiskrete, wenn auch flüsternde Kollektiv, das mehr und mehr deutschnational wird und sich in Tergits Feuilletons und Prozessberichten durch das Indefinitpronomen man ausdrückt. Mit diesem Indefinitpronomen sprechen die Nachbarn, die als Zeugen unter Eid aussagen. „Nach der Berliner Reise ging sie in noblem Zeug fort und gesehen hat man sie nie“,12 sagt ein neugieriger Nachbar über die junge Lisbeth im Kolomak-Prozess aus, der unbedingt Prostitution nachgewiesen werden soll. Und zweideutig klingt die Anmerkung von Frau Riecke über Frau Schulz: „Das sieht man Ihnen ordentlich an, daß Sie so krank sind.“13 In einem so anonymen und bedrohlichen Murmeln äußert sich das man. Tatsächlich charakterisieren das ‚Gerede‘, die ‚Neugierde‘ und die ‚Zweideutigkeit‘ für Martin Heidegger „das Verlorensein“ des Daseins „in der Öffentlichkeit des Man.“14 Die Merkmale des Daseins im Modus seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit beschreiben mit überraschender Genauigkeit Tergits Nachbarfiguren: Das Gerede dieser „bescheidenen Existenzen“ ist schließlich ein autoritatives Weiter- und Nachreden: „Die Sache ist so, weil man es sagt.“15 Ihre Neugier ist nichts anders als ein gelangweiltes „Unverweilen beim Nächsten.“16 Ihr Schauen ist ein bloßes Schauen, das Neuigkeiten und Unterhaltung und nicht das Verstehen sucht. Die Verallgemeinerungen Frau Rieckes, die alles immer schon gewusst hat, verunmöglichen jegliches Verstehen; in der Öffentlichkeit des „Man“ verliert sich Frau Rieckes Existenz.
IV.
Auf zwei Aspekte kann man am Ende dieses kurzen Spaziergangs durch Gabriele Tergits journalistische und literarische Nachbarschaften verweisen, auf einen öffentlichen und einen privaten. Beide bergen in sich das Potential zur Eskalation. Zunächst der öffentliche Aspekt, der im Prozessbericht „Sittlichkeit auf der Leiter“ zutage tritt,17 in dem Tergit zeigt, wie das sexuelle Leben zunehmend von der Nachbarschaft kontrolliert wurde. Dies geschah insbesondere innerhalb einer spezifischen Konstellation, und zwar bei den einst vermögenden Damen, die „ihre große[n] Wohnungen als einzigen Besitzt [hielten]“ und die sich durch Inflation und Wohnungsnot gezwungen sahen, mit Menschen aus anderen Verhältnissen „Tür an Tür zu hausen.“18 Tergit beschreibt dieselbe Wohnkonstellation auch im Käsebier-Roman: „Im schwarzen Musikzimmer schlief eine Serbin, im Renaissance-Herrenzimmer ein Student, ins romanische Eßzimmer war ein Ungar gekommen, und in den Hinterzimmern wohnte eine russische Familie. Die Besitzerin hatte sich auf ein Stübchen neben der Toilette zurückgezogen oder hatte die ganze Wohnung vermietet für den Preis, daß sie mit ernährt würde.“19 Im Prozessbericht „Sittlichkeit auf der Leiter“ ist die Rede von zwei Damen, die eine Leiter benutzen, um durch das Oberlichtfenster der Tür zu beobachten, wie ihr Mieter mit einer Freundin im Bett liegt. Vor Gericht sagen sie aus, dass die beiden nicht einmal verlobt sind. Die Intimsphäre der Sexualität ist zur öffentlichen Angelegenheit geworden, die unaufhörlich lauschenden Ohren der großstädtischen Nachbarschaft kontrollieren den Geschlechtsverkehr und verursachen sexuelle Frustration. Dies ist schließlich auch der Grund für das Scheitern von Franz Biberkopfs Besuch bei einer Prostituierten in Döblins Berlin Alexanderplatz („Was luft da für ein Kerl nebenan?“ – „Is kein Kerl, is meine Wirtin.“ – „Was macht denn die?“ – „Was soll die denn machen? Die hat da ihre Küche.“ – „Na ja. Die soll doch aufhören zu laufen.“)20
Der zweite Aspekt ist privat: Die gemeine Nachbarin erweist sich als tüchtige, deutschnationale Frau. Auf der Leiter entsteht die künftige Gewohnheit der Denunziation: Intime, private Angelegenheiten werden um privater Vorteile willen angezeigt. „Immer die Wahrheit und die Ehre, wir sind nicht so, dass wir die Wahrheit nicht bringen. Wir sind deutschnationale Frauen“, erklären die Nachbarinnen bei der Beerdigung des gestorbenen Herrn Niesbein, die nicht weniger als sechs Beleidigungsprozesse auslöst.21 Aus dem Moabiter Gerichtssaal verfolgte Tergit die Verhandlungen. Viele Jahre später nahm sie in ihrem Londoner Exil die Erzählung dieser Denunziationen wieder auf und rekonstruierte die Geschichte der Zurückgebliebenen: „Eine Nachbarin hatte im April 1945 Klupp und Grete angezeigt, weil sie zusammenwohnten, sie wollte deren Zimmer haben, natürlich wie tausendfach der Grund, daß Untergetauchte verraten wurden. Am nächsten Tag waren die Russen da, sonst wären sie noch hingerichtet worden.“22 Auf die verfließenden Grenzen zwischen Nachbarn und Denunzianten sowie auf das Hervortreten einer anderen Form sozialer Kontrolle hinter der Institution des Gerichts wies die lakonische Prosa Tergits schon in den 1920er Jahren hin. In einem ihrer Prozessberichte kommt die Ehefrau eines festgenommenen Angeklagten zu dem treffenden Fazit: „Die Gerichtsverhandlung ist nicht das Schlimmste, sondern der Mitmensch.“23
- Im Lokalteil des Berliner Tageblatts (Morgenausgabe) erschienen „Auf Wohnungsuche [sic] in Berlin. Kein Hüsung“ (01.05. 1928), „Auf Wohnungssuche in Berlin. Staberows Else hat sich verheiratet“ (05.06.1928), „Das Mysterium des weissen Scheins. Schleichhändler und Härteausgleichverfahren“ (19.06.1928), „Ende des Wegs zur Wohnung. Auf dem Kalvarienberg, Einschreibegebühr, Abstand, Vermittlerprovision – oder Neubau“ (10.07.1928).
- Gabriele Tergit: „Auf Wohnungsuche“, in: Berliner Tageblatt, 01.05.1928.
- Gabriele Tergit: „Auf dem Kalvarienberg“, in: Berliner Tageblatt, 10.07.1928.
- Gabriele Tergit: Etwas Seltenes überhaupt. Erinnerungen, Frankfurt a. M. 2018, S. 49.
- Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Frankfurt a. M. 2005, S. 280.
- Die „Berliner Existenzen“ erschienen ab November 1926 im Lokalteil des Berliner Tageblatts. Einige davon wurden von Jens Brüning im Band Atem einer anderen Welt. Berliner Reportagen (1994) nachgedruckt.
- Gabriele Tergit: „Die Nachbarin“, in: Atem einer anderen Welt. Berliner Reportagen, Frankfurt a. M. 1994, S. 61–63.
- Tergit: „Die Nachbarin“ (Anm. 7), S. 62.
- Gabriele Tergit: „Paragraph 218. Ein Fall aus tausend Fällen“, in: dies.: Vom Frühling und von der Einsamkeit. Reportagen aus den Gerichten, Frankfurt a. M. 2020, S. 141–142.
- Tergit: „Die Nachbarin“ (Anm. 7), S. 62.
- Tergit: Etwas Seltenes überhaupt (Anm. 4), S. 21.
- Tergit: „Die Freunde der Lisbeth Kolomak. Zeugenvernehmung im Bremer Prozess“, in: Berliner Tageblatt, 16.06.1927.
- Tergit: „Die Nachbarin“ (Anm. 7), S. 62.
- Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 2001, S. 175.
- Heidegger: Sein und Zeit (Anm. 14), S. 168.
- Heidegger: Sein und Zeit (Anm. 14), S. 172.
- Gabriele Tergit: „Sittlichkeit auf der Leiter“ [Berliner Börsen-Courier, 3.10.1924] in: Vom Frühling und von der Einsamkeit, S. 7–9.
- Tergit: „Sittlichkeit auf der Leiter“ (Anm. 17), S. 8.
- Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm, Frankfurt a. M. 2016, S. 259–260.
- Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf, Frankfurt a. M. 1980, S. 42.
- Gabriele Tergit: „Die Toten-Klage. Niesbeins Selbstmord und unfreiwilliges Fortleben“, in: Vom Frühling und von der Einsamkeit, S. 161–63.
- Tergit: Etwas Seltenes überhaupt (Anm. 4), S. 354.
- Gabriele Tergit: „Tegel – Klein-Kleckersdorf. Kleiner Moabiter Bilderbogen“, in: Vom Frühling und von der Einsamkeit, S. 123.
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Frankfurter Allee
…den Vogel von Rainer G. Rümmler in Reinickendorf, die tieforangen Fliesen an der Frankfurter Allee, die den Untergrund im eisigsten Winter in ein warmes Licht tauchen.
Inflation
Zudem beantworten Nachbarin und Nachbar mit Rückblick auf ihre Lebenserfahrungen, nämlich „zweimal Krieg mitgemacht [zu haben], plus Flüchtling, plus Inflation“…
Zeugen
Wie haben sie das zerstörerische Jahrhundert durchlebt, dessen Zeugen die beschädigten Gebäude sind, die klaffenden Löcher, die seelenlosen Wohnblocks…
Siedlungen
…wie etwa bei Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern auf der einen Straßenseite und sozialem Wohnungsbau oder informellen Siedlungen auf der anderen…
Spaziergang
…einem ihrer berühmtesten Repräsentanten –, die 1923 bei einem Spaziergang durch den Berliner Tiergarten ihre differierenden Visionen einer afroamerikanischen Ästhetik über den Rückgriff auf deutsche (männliche) Künstler diskutierten…
Schauen
Die Uhren schauen aus, als hätten sie sogar nautische Funktionen, man kann an ihnen Rädchen und Winkel verstellen.
Öffentlichkeit
Wandbild und Formsteine bespielen eindeutig den öffentlichen Raum: Ihre Wirkung entsteht erst, indem sie in die Öffentlichkeit eingreifen und sie mitgestalten…
privat
You see, we just don’t live like you do – I mean, in private, self-contained apartments within large, gardenless houses.
Ehefrau
Man geht zu den Hochzeiten und Beerdigungen der anderen, grüßt sich mit Namen, fragt nach den Kindern, die man hat aufwachsen sehen, dem Sodbrennen des Ehemanns und den Hühneraugen der Ehefrau.
Tür
Die Tür öffnet sich auf eine gegenstandslose himmelblaue Fläche. In der Mitte steht eine schwarzhaarige Familie…
Mieter
Die schwerhörige Oma Schade hörte es nicht. Doch andere Mieter ärgerten sich.
Ohren
Das aber bin ich gewohnt. Nach allem, was mir in den letzten Jahren an Lärm zu Ohren gekommen ist, ist es das reinste Glück.
Denunziation
Eine Straße lebt von diesen schäbigen Denunziationen, den haltlosen Verleumdungen, Nachbarschaftsstreits, Eifersüchteleien, Zankereien…
1920er
In the 1920s, this square was one of the busiest and most dangerous crossings in Europe…
flüstern
Uns unsichtbar machten. Auf der Straße flüsterten.
Gerichtsreport
Damit sind nicht nur Denkmäler der Stadtteilgeschichte gemeint wie der ganz in meiner Nähe beginnenden Gefängnis- und Gerichtskomplex, der die Archive der Stadt mit Prozessakten und Gerichtsreportagen füllt.
Distanz
während Herrchen und Frauchen oder Herrchen und Herrchen oder Frauchen und Frauchen distanzierte Unterhaltungen führen und sich langsam, aber sicher annähern.
Grenzen
Das kann ich mir nicht leisten, sagte ich mit der Genugtuung des Privilegierten, der an die Grenzen seiner Privilegiertheit stößt und das mitteilen kann.
Gras
Auch die Baumumrandungen werden inzwischen bepflanzt, regelmäßig gegossen. Und wo vor Jahren noch halb zertrampeltes Gras wucherte, blühen heute Rosen, Sträucher.
Nächste
…es handle sich bei Lieschen um ein Wahngebilde, an ihrer textuellen Realität nicht das Geringste ändert. Umso mehr erscheint sie als ‚Nächste‘: als Alter Ego des Protagonisten…
soziale Kontrolle
Eine neue Nachbarschaft schien gut, wenn die Nachbarn einen nicht beachteten und auf soziale Kontrolle verzichteten, wenn man schnell wegkam und nachts bequem zurück.
anonym
Absender anonym
Nähe
Ich kenne Nachbarschaften, aber ich kenne nicht die Nähe, die am Feuer entsteht, wenn sich die Meute dort versammelt.
Hinterzimmer
Mein Platz ist in einem Hinterzimmer, aus dessen Fenster man über den Hof blicken kann.
Als letzten, gewiß nicht unwichtigsten Charakterzug einer Kultur haben wir zu würdigen, in welcher Weise die Beziehungen der Menschen zueinander, die sozialen Beziehungen, geregelt sind, die den Menschen als Nachbarn, als Hilfskraft, als Sexualobjekt eines anderen, als Mitglied einer Familie, eines Staates betreffen.
Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, 1930
Über das Projekt
Die Anthologie NACHBARSCHAFTEN, herausgegeben von Christina Ernst und Hanna Hamel, ist eine Publikation des Interdisziplinären Forschungsverbunds (IFV) „Stadt, Land, Kiez. Nachbarschaften in der Berliner Gegenwartsliteratur“ am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin. Seit 2019 erforscht das Projekt das Phänomen der Nachbarschaft in der Gegenwartsliteratur und bezieht dazu Überlegungen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit ein. In der im November 2020 online gestellten Anthologie können Leser*innen durch aktuelle Positionen und Perspektiven aus Literatur und Theorie flanieren, ihre Berührungspunkte und Weggabelungen erkunden und sich in den Nachbarschaften Berlins zwischen den Texten bewegen.