Für seinen 1998 erschienenen Debütroman Libidissi hat Georg Klein einen merkwürdigen Ort erfunden: die titelgebende Stadt Libidissi. Allerdings kann man bis zum Ende des Romans nur vermuten, dass es sich bei dem Titelwort um einen Ortsnamen handelt. Zwar wird die Stadt fortwährend im Text erwähnt; man kann sogar sagen, dass sie die eigentliche Hauptfigur des Romans ist. Aber sie wird immer nur „die Stadt“ genannt, bis es im letzten Kapitel heißt, eine religiöse Gruppierung habe „den Flughafen von Libidissi“ angegriffen.1 Dieses Aussparen und Aufschieben des Namens ist kennzeichnend für die Prosa Georg Kleins, eines der bemerkenswertesten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. In seinen Romanen und Erzählungen erfindet er fantastische, oft auch fantasmatische Orte – Städte, Bauten, Außen- und Innenräume –, bevölkert sie mit eigenartigen Figuren und berichtet von all dem in einer eigenwilligen und unverwechselbaren Sprache.2
Die Frage der Nachbarschaften spielt in Libidissi eine wichtige Rolle. Das betrifft zum einen die Struktur der fiktiven Stadt selbst, die auf komplexe Weise aus charakteristischen Ortsteilen, ‚Nachbarschaften‘ im Sinne des englischen neighbourhood, zusammengesetzt ist. Zum zweiten betrifft es die Sprachen, die in der Stadt Libidissi gesprochen werden. Als benachbarte Idiome stehen sie miteinander in Kontakt und stiften Kontakte zwischen ihren Sprechern, dienen aber ebenso oft der wechselseitigen Ab- und Ausgrenzung. In derselben Ambivalenz stehen, drittens, die Nachbarschaften zwischen den handelnden Figuren. Die lokale Nähe begünstigt Allianzen, führt aber auch zu beträchtlichen Spannungen, und wie sich zeigen wird, kann die engste räumliche Beziehung als durchaus unheimliche Nachbarschaft erscheinen.
Die literarische Topographie von Libidissi ist suggestiv und detailreich, zugleich aber voller Lücken und Leerstellen. Die Stadt ist nicht nur unüberschaubar, sondern auch unkartiert: Es gibt keinen „brauchbaren Plan“ (78), was vor allem den Zugereisten – aus deren Perspektive wir den Ort kennenlernen – noch nach Jahren die Orientierung erschwert. Trotzdem lässt sich den Hinweisen im Roman eine klare urbane Großgliederung entnehmen. Umringt von Slum-Siedlungen und verschiedenen Vororten liegen die erhöhten Altstadtquartiere wie das „Egichäer-Viertel“ (11) oder das „Lumpensiederviertel“ (82). In ihrer Mitte thront auf drei Hügeln das älteste Viertel, „das Goto“ (6), dessen Name Assoziationen an ‚gotische‘ Altstädte, etwa an das Barrio Gótico in Barcelona, erlaubt, aber auch das Wort ‚Ghetto‘ zitiert, also an einen abgesonderten Stadtbezirk denken lässt. In der Tat lautet sein voller Name „Ghetto Der Großen Prophezeiung“ (78). Fast vollständig eingeschlossen von der ringförmigen Hauptstraße, dem „Boulevard Der Meinungsfreiheit“, ist es ein „für Ausländer verbotenes Viertel“. In „verführerischer Paradoxie“ bildet ausgerechnet der angrenzende Vergnügungsdistrikt mit „Bordelle[n], […] Tanz- und Saunaclubs“ eine „dünne, aber kilometerlange Pufferzone zwischen der Hauptschlagader der Stadt und dem verbotenen Viertel“ (78f.).
Sowohl der Ausdruck „Hauptschlagader“ als auch das Phänomen der „Pufferzone“ sind von Bedeutung für die Topographie des imaginären Ortes. Es handelt sich um eine Stadt von beträchtlicher physischer Realität, um einen Stadt-Körper, und es handelt sich um eine Stadt, in der die Distrikte, Viertel und Ortsteile durch Übergangszonen sowohl verbunden als auch getrennt sind. Zum Beispiel erscheint es fast unmöglich, „den Rand des Egichäer-Viertels zu überwinden“, weil dort „die Häuser von zwei Seiten, […] in lückenlosen Reihen Rücken an Rücken errichtet“ worden sind (25f.). Es gibt keine Straßenverbindung, nur Hausdurchgänge und einen verbindenden Basar. Zu finden ist dieser als „Schleuse“ (26) bezeichnete Übergang für die Ausländer nur mithilfe der Einheimischen. Allerdings wird diese Unterstützung oft widerstrebend oder für Gegenleistungen geboten, und man muss immer damit rechnen, in die Irre geführt zu werden.
Die strukturelle Widerständigkeit und Feindseligkeit haben wesentlich mit dem Plot des Romans zu tun. Er handelt von einem deutschen Agenten namens Spaik, der nach Jahren im Auslandsdienst auf seinen Nachfolger wartet, den ihm der Administrator der Heimatbehörde angekündigt hat. Stattdessen treffen jedoch zwei Auftragsmörder ein, die den unzuverlässig gewordenen Spaik liquidieren sollen und seiner Spur kreuz und quer durch die Stadt folgen. Dabei wechselt kapitelweise die interne Fokalisierung: vom „Wir“ der Verfolger zum „Ich“ des Spions, der von sich nicht als „Ich“, sondern als „Ich=Spaik“ spricht, also seine Identität mit sich selbst verdoppelt und verschiebt. Das Szenario der Verfolgung wird angereichert durch Hinweise auf ein geplantes Großattentat religiöser Fanatiker und auf eine tödliche Krankheit namens „Mau“, der mehr und mehr Einheimische und Fremde zum Opfer fallen. Die zugleich spannende und rätselhafte, im Präsens erzählte, aber durch Rückblenden fortwährend retardierte Geschichte läuft auf einen Showdown hinaus, der schließlich auch stattfindet, an dem sich die Rätsel aber nicht lösen, sondern in einer für Kleins Erzählungen charakteristischen Weise bis zur Unentwirrbarkeit weiter verdichten. Eben dafür steht die labyrinthische Topographie von Libidissi.3
Die Stadt, die zwischen östlichem Europa und vorderem Orient lokalisiert sein dürfte (geographisch wäre etwa an den Kaukasus zu denken4), hat eine lange und tief eingeprägte Gewaltgeschichte. Einmal wird erwähnt, dass sie schon „vor tausend Jahren“ von den Mongolen geplündert worden und dass ihre Geschichte „reich an Pogromen und Metzeleien“ sei (127). Zur jüngeren Vergangenheit gehört die Herrschaft einer „Fremdmacht“ (6), gefolgt von einer religiös-fundamentalistischen Revolution. In der erzählten Gegenwart drückt sich diese Vorgeschichte durch die grundsätzliche Feindseligkeit aus, mit der viele Einwohner allen Fremden begegnen. Darin zeigt sich nicht nur eine Abneigung gegen die ausländischen Besucher der Stadt, sondern auch die der verschiedenen Einwohnergruppen untereinander in ihren ethnischen und religiösen Gruppenidentitäten, deren Namen – wie „Egichäer“, „Seuschenen“, „Kyrenäer“ – über den Romantext verstreut sind.
Eine umso wichtigere Rolle spielen die verschiedenen Vermittler, die Verbindungen zwischen den Gruppen und Individuen stiften. Sie sind an bestimmten Kontaktzonen in der Stadt zu finden. Von großer Bedeutung ist etwa ein Dampfbad, in dem Spaik regelmäßig verkehrt und das von einem Deutschen namens Freddy betrieben wird. Er nennt sein Etablissement „den Versuch […], eine Brücke zwischen den Kulturen zu errichten“ (66). Diese Formel wirkt allerdings fragwürdig, nicht nur deshalb, weil das Dampfbad eher ein Bordell zu sein scheint. Auch das weitere Schicksal Freddys spricht dagegen, dass umtriebige Vermittlungsbereitschaft zur Verständigung führen kann: Er wird von Spaiks Verfolgern entführt, gefoltert und schließlich umgebracht. Das mörderische Duo registriert dabei ausführlich, dass und wie sich ihr Opfer in der gemeinsamen Muttersprache artikuliert: „Freddy sprach ein ungemein schnelles Deutsch, gewiß das schnellste, das wir je gehört hatten“ (160); „[d]ieses Deutsch war unmittelbar davor, in ein nicht mehr verständliches Zwitschern überzuschnappen“ (162). Noch aus dem abschließenden „Hauchen und Zischeln hören du und ich auf eine spröde, uns anrührende Weise das Vertraute heraus“ – nämlich das, was die beiden in ihrer pluralen Erzählrede auf zugleich zärtliche und zynische Weise „unser gutes altes Deutsch“ nennen (164).
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Romans, dass er keine wörtliche Rede enthält. Umso größer ist die Aufmerksamkeit, die er der gesprochenen Sprache, der Mehrsprachigkeit und den sprachlichen Nachbarschaften innerhalb der pluri- und transkulturellen Stadt Libidissi widmet. Fast immer werden ausdrücklich die – oft fiktiven – Sprachen benannt, in denen sich Personen und Personengruppen miteinander verständigen oder auf ihren Missverständnissen beharren. Schon im ersten Kapitel erwähnt Spaik als Ich-Erzähler die zahlreichen „Mundarten und Nebensprachen der Stadt“, die er „nur unvollkommen zu unterscheiden gelernt“ habe (9f.). An anderer Stelle ist von der „harten, kehligen Intonation der ehemaligen Bergbewohner“ die Rede (70); jemand spricht „zwischen mehreren städtischen Dialekten irrlichternde[ ] Sätze“ (125); und von den einstigen Ansprachen des Revolutionsführers Gahis heißt es, er habe sich „in freier Synthese aller in der Stadt gebräuchlichen Sprachen und Mundarten“ bedient (116). Bei diesen Idiomen von Libidissi handelt es sich offenbar um minoritäre Einzelsprachen, die aufgrund ihrer urbanen Nachbarschaft miteinander abwechseln, ineinander übergehen können, ohne linguistisch verwandt sein zu müssen.
Hinzu kommen Sprachen, die ihrerseits der Vermittlung dienen, etwa die „statistische[ ] Landeshauptsprache“ (17), vor allem aber Piddi-Piddi, das fiktive Pidgin-Englisch der Stadt. Es zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es in ihm kein Personalpronomen der Ersten Person Singular mehr gibt: „[D]er Redende nennt sich selbst stets mit dem Namen, mit dem ihn sein jeweiliges Gegenüber anspricht“ (16f.). Mit seiner Selbstkennzeichnung als „Ich=Spaik“ leistet der Protagonist offenkundig eine Annäherung an diese Eigentümlichkeit. Die Grammatik und Lexik von Piddi-Piddi lässt Identitäten diffundieren, außersprachliche wie innersprachliche. In das zugrunde liegende „bastardisierte Englisch“ (42) sind Wörter aus den verschiedenen einheimischen Sprachen gemischt, die aber als „Einsprengsel, die mit einem übertriebenen, fast karikierenden amerikanischen Akzent ausgesprochen werden“ (17), jeden idiomatischen Kontext verloren haben. So wie die Stadt Libidissi zwar ein kultureller Schmelztiegel ist, aber allem Fremden mit unüberbrückbarer Feindseligkeit begegnet, ist auch das synkretistische Piddi-Piddi eine Sprache der Exklusion: „[J]edem Neuankömmling muß dringend davon abgeraten werden, einzelne Wörter in erlernter Korrektheit nachzuäffen. Verächtliches Abstandnehmen wäre nicht die schlimmste Reaktion, mit der er zu rechnen hätte“ (ebd.).
Dass Spaik sich schließlich den Mördern zu entziehen vermag, liegt nicht zuletzt daran, dass er innerhalb der Stadt Verbindungen pflegt, die ihn bei seinen Manövern gegen die Verfolger unterstützen. Seine Helfer befinden sich teils in den erwähnten Kontaktzonen, wie der Saunabetreiber Freddy oder der androgyne Kellner Calvin im „Naked Truth Club“, teils residieren sie im ehemaligen Lumpensiederviertel, „dem Stadtteil, in dem ich=Spaik seit langem wohne“ (30). Dazu gehören der Hausarzt Doc Zinally, ein Amerikaner, der sich im multiethnischen Gewimmel der Stadt als Phrenologe und Rassenkundler betätigt, und der Schuster und Waffenschieber Axom, den Spaik ungesehen auf einem nur den Einheimischen bekannten Weg „über die Dächer“ (57) erreichen kann. Hinzu kommen nähere und unheimlichere Nachbarschaften. So finden die Verfolger beim Durchwühlen von Spaiks Haus im unbewohnten Erdgeschoss eine „mumifizierte Leiche“ (168), bei der es sich offenbar um den mehrmals erwähnten, an der Mau-Krankheit gestorbenen Vormieter, einen italienischen Fotojournalisten, handelt. Aus Spaiks eigenen Erzählberichten geht nur hervor, dass die „diskrete Beseitigung des Italieners“ (83) seinerzeit gescheitert war und dass er möglicherweise dessen Möbel aufbewahrt habe (187).
Die Verstreuung der Hinweise im Text korrespondiert mit Spaiks nur diffuser Ahnung von der weiterhin bestehenden Nachbarschaft mit dem vermeintlich verschwundenen Vorbewohner. Noch mysteriöser liegt der Fall von Spaiks nächster Nachbarin und Mitbewohnerin, einem einheimischen Mädchen, dem er den deutschen Namen Lieschen gegeben hat. Im Verlauf des Romans nimmt sie mehr und mehr das Geschehen in die Hand und tritt nicht nur als Spaiks Helferin, sondern geradezu als seine Retterin in Erscheinung. Seltsamerweise scheint sich im selben Maß ihr Realitätsstatus zu reduzieren. In der Engführung der Perspektiven von Verfolgtem und Verfolgern im vorletzten Kapitel des Romans sieht nur Spaik das Kind, das neben ihm her zu seinem Haus geht, während das Mörderpaar, das in diesem Haus auf ihn lauert, nichts als einen „einsamen Kerl“ auf der Straße erkennt – der allerdings eben jene „genagelten Stiefel“ trägt, die sonst zu Lieschens Ausstattung gehörten (185). Spaik seinerseits verliert während des Showdowns mit den Verfolgern das Kind aus den Augen und ist sich, als er siegreich, doch geschwächt im Sessel sitzt und auf den Arzt wartet, nicht sicher, ob er im Hintergrund tatsächlich Lieschens Stimme hört, oder ob dieser Eindruck „nur dem überfälligen Schlaf oder einer drohenden Ohnmacht geschuldet“ (193) ist.
Man kann vermuten, dass Spaik seine Gefährtin von Anfang an halluziniert hat, dass es Lieschen also gar nicht wirklich gibt. Letzteres ist allerdings eine für fiktive Romanfiguren triviale Feststellung, so wie auch die Erläuterung, es handle sich bei Lieschen um ein Wahngebilde, an ihrer textuellen Realität nicht das Geringste ändert. Umso mehr erscheint sie als ‚Nächste‘: als Alter Ego des Protagonisten, in untrennbarer Nähe zu seinem Ich, dessen Identität in diesem Roman durchweg zur Debatte steht. In der Buchstäblichkeit des Namens Lieschen kreuzt sich das „Es“ des unheimlichen Kindes (Lieschen) mit dem fragilen „Ich“ Spaiks (Lieschen).5 Mit diesen chiffrenhaft eingetragenen Begriffen von Ich und Es erweist sich Libidissi als freudianischer Text – worauf bereits die in den Romantitel hineinspielende Libido hindeutet. Libidinös besetzt sind alle Näheverhältnisse in diesem Roman, angefangen bei der homoerotischen Zärtlichkeit der beiden Verfolger füreinander und ihrer lustvollen Gewalttätigkeit nach außen, bis hin zur Frage, ob es nicht ein erwachendes erotisches Interesse sein könnte, aufgrund dessen Lieschen sich bei Spaik aufhält. Dass der oder die ‚Nächste‘ „Helfer und Sexualobjekt“ sein kann, hat Freud selbst betont – ebenso wie die Neigung, gerade am Nächsten die eigene Aggression zu befriedigen.6 Die Nachbarschaften in Libidissi bieten reichhaltiges Material für all diese Optionen, einschließlich der abgründigsten, dass man sich doch nur selbst der Nächste sein könnte.
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Georg Klein: Libidissi. Roman, Berlin 1998, S. 191. Weitere Nachweise direkt im Text.
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Einige der hier angestellten Überlegungen habe ich zuerst formuliert in: Stefan Willer: „Rohrpostsendungen. Zeichen und Medien in der Prosa Georg Kleins“, in: Weimarer Beiträge 48 (2002), S. 113–126.
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So Cornelius Partsch: „Spy Games in a Foreign Land. Georg Klein’s ‚Libidissi‘“, in: Orbis litterarum 66 (2011), S. 64–88, hier S. 67: „[T]he city functions as metafictional device conveying the text’s enigmatic construction as an accretion of concealed meanings and strategic deceptions“. Vgl. auch Alexander Gumz: „The Novel as the City’s Body. Georg Klein’s ‚Libidissi‘“, in: Julian Preece (Hg.): Cityscapes and Countryside in Contemporary German Literature, Oxford u.a. 2004, S. 85–106; Susanne Ledanff: „Stadtmystifikationen in Georg Kleins Romanen ‚Libidissi‘ und ‚Barbar Rosa‘“, in: Christoph Jürgensen/Tom Kindt (Hg.): „Wie in luzidem Schlaf“. Zum Werk Georg Kleins, Berlin 2013, S. 91–107, bes. S. 97–100; Kathrin Schuchmann: „‚Puls der Stadt‘. Kriminalliterarische Raumrepräsentation und Medialität in Georg Kleins ‚Libidissi‘“, in: Metin Genc/Christof Hamann (Hg.): Kriminographien. Formenspiele und Medialität kriminalliterarischer Schreibweisen, Würzburg 2018, S. 67–82.
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Dafür spricht, neben verschiedenen Andeutungen im Text, auch der Anklang von Libidissi mit der georgischen Hauptstadt Tbilissi.
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Ebenfalls im Namen des Kindes enthalten ist der hermeneutische Imperativ schlechthin: „Lies.“ Vgl. Willer: „Rohrpostsendungen“ (Anm. 2), S. 126.
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Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur, in: ders.: Gesammelte Werke, hg. von Anna Freud u.a., Frankfurt a.M. 1999, Bd. 14, S. 419–506, hier S. 470.
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Zärtlichkeit
Ich suchte Zärtlichkeit und Sex, um endlich die Liebe kennenzulernen.
Übergang
Am Übergang von Publizistik und Literatur bildeten sich im 19. Jahrhundert die kleinen Prosaformen der Stadtbeschreibungen und des Feuilletons heraus.
For what do we live, but to make sport for our neighbours, and laugh at them in our turn?
Jane Austen, Pride and Prejudice, 1813
Über das Projekt
Die Anthologie NACHBARSCHAFTEN, herausgegeben von Christina Ernst und Hanna Hamel, ist eine Publikation des Interdisziplinären Forschungsverbunds (IFV) „Stadt, Land, Kiez. Nachbarschaften in der Berliner Gegenwartsliteratur“ am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin. Seit 2019 erforscht das Projekt das Phänomen der Nachbarschaft in der Gegenwartsliteratur und bezieht dazu Überlegungen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit ein. In der im November 2020 online gestellten Anthologie können Leser*innen durch aktuelle Positionen und Perspektiven aus Literatur und Theorie flanieren, ihre Berührungspunkte und Weggabelungen erkunden und sich in den Nachbarschaften Berlins zwischen den Texten bewegen.